Perspektiven des schleswig-holsteinischen Wohnungsmarktes
Kiel, den 29.07.1999
Perspektiven des schleswig-holsteinischen Wohnungsmarktes
Allen Entspannungstendenzen zum Trotz sieht der Landesmieterbund eine bedrohliche Perspektive für den schleswig-holsteinischen Wohnungsmarkt. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Im einzelnen:
Die viel zitierte „Entspannung auf dem Wohnungsmarkt“ erstreckt sich nach Feststellungen der schleswig-holsteinischen Mietervereine nur auf das obere Marktsegment; große und gut ausgestattete Wohnungen geben preislich nach und eröffnen Verhandlungsspielräume für Mieter, die mit Kündigung drohen oder ihre Bedingungen beim Vertragsabschluß stellen. Schon im mittleren Marktsegment sind diese Rahmenbedingungen nicht mehr anzutreffen – ganz zu schweigen vom einfachen Marktsegment, das immer noch überproportionale Mietsteigerungsraten aufweist, und zwar weit über denen der Lebenshaltungskosten. Ursache für diese gesplittete Entwicklung sind zwei gegenläufige Trends:
Zum einen haben insbesondere die kreisfreien Städte teilweise enorme Einwohnerverluste durch Abwanderung der Eigenheimbauer ins Umland hinnehmen müssen. Diese wiederum haben als die kapitalkräftigeren Mieter auch die besseren Wohnungen freigemacht und so für ein vergrößertes Angebot gesorgt. Zum anderen sind die in den vergangenen Jahren erstellten zahlreichen Neubauwohnungen typischerweise Wohnungen des gehobenen Angebotes und haben gleichermaßen keine nennenswerte Entlastung im Marktsegment der Durchschnittsverdiener gebracht.
Beide Entwicklungen sind überdies abgerissen; die Zahl der Baugenehmigungen auch bei den Eigenheimen ist erstmalig seit langem rückläufig. Mit 3.500 WE beträgt der Rückgang in den ersten 4 Monaten des Jahres zwar nur 2 % gegenüber dem Vorjahr, parallel dazu ist aber der Geschoßwohnungsbau im gleichen Zeitraum um 47 % eingebrochen. Insgesamt werden sich die zu erwartenden Fertigstellungszahlen im Wohnungsbau bedrohlich der Marke von 15 Tausend WE jährlich nähern, wenn sie nicht bereits 1999 unterschritten wird. Diese Zahl markiert unter den gegebenen Bedingungen die notwendige Neubauleistung, um den Status quo zwischen Wohnungsangebot und Nachfrage einigermaßen im Gleichgewicht zu halten. Ist sie erreicht, wird auch der Abbau des immer noch bestehenden Wohnungsdefizites zu Ende sein. Die Zahl der Haushalte in Schleswig-Holstein übersteigt aber immer noch diejenige der Wohnungen deutlich. Für April 1998 meldet das Statistische Landesamt 1.298.000 Haushalte. Die Zahl der vorhandenen Wohnungen beläuft sich (Stand 31.12.1997) jedoch nur auf eine 1.269.381 Einheiten, so daß sich alleine hieraus ein rechnerisches Defizit von ca. 28.500 WE ergibt. Starke Belastungen für die Mieterschaft werden sich im übrigen auch aus der neu eingeführten Ökosteuer ergeben. Da Schleswig-Holstein überdies das Bundesland mit dem höchsten Heizenergieverbrauch ist, schlägt die Ökosteuer hier besonders zu Buche. Haushalte, die keine Kompensationsmöglichkeiten über eingesparte Lohnnebenkosten haben, bleiben auf den Mehrbelastungen sitzen.
Zusätzliche Belastungen für den schleswig-holsteinischen Wohnungsmarkt ergeben sich auch aus der Tatsache, daß zur Zeit überproportional viele Preis- und Belegungsbindungen auslaufen. Allein in diesem Jahr sind 6.790 Sozialwohnungen betroffen von ca. 82 Tausend, die landesweit über diese Bindungen noch verfügen. Auch in den Folgejahren werden jährlich zwischen 3 und 5 Tausend Wohnungen aus den Bindungen fallen mit dem nächsten Höhepunkt im Jahre 2003, wenn voraussichtlich fast 7.800 weitere Wohnungen die Bindungen verlieren. Auch hier entsteht zusätzlicher Druck überwiegend im preiswerten Segment.
Dem gegenüber fallen die Zuwächse an neuen Preis- und Belegungsbindungen nur dürftig aus. Das Land fördert nicht annähernd in dem Umfang neue Wohnungen wie Preisbindungen verlorengehen. Das Wohnungsbauprogramm 1999/2000 sieht (für 2 Jahre!) die Förderung von bis zu 4.280 Miet- und Genossenschaftswohnungen, sowie bis zu 2.500 Eigentumsmaßnahmen vor. Rein rechnerisch könnten also 1999 2.140 Sozialwohnungen neu bewilligt werden, was nicht einmal einem Drittel der Bindungsverluste entspricht.
Ebenfalls bedrohlich wirkt sich die Tatsache aus, daß die öffentliche Hand sich auf verschiedenen Wegen aus öffentlich kontrollierten Wohnungsbeständen zurückzieht. Angefangen bei den HDW-Wohnungen, deren Werkswohnungsbestand zu etwa einem Drittel veräußert worden ist, über die Eisenbahnerwohnungen mit über 3 Tausend WE im ganzen Land, die zur Zeit zum Verkauf stehen, bis hin zur Kieler Wohnungsbaugesellschaft, von der sich unlängst die Stadt getrennt hat, gehen riesige Wohnungsbestände in Unternehmerhände über, die erklärtermaßen eine bessere Rendite aus diesen Beständen erwirtschaften wollen. Originaltext WCM: „Die traditionell niedrigen Mieten aus der Zeit der Gemeinnützigkeit werden durch die schrittweise Anhebung auf das marktübliche Niveau in den nächsten Jahren für weitere Verbesserungen der Ergebnisse aus diesem Bereich sorgen…“.
Unlängst hat sich schließlich auch CDU-Kandidat Rühe mit der Absicht geäußert, die WOBAU Schleswig-Holstein mit ca. 18 Tausend Wohnungen zu privatisieren, so daß damit eine der letzten Säulen preiswerten Wohnraums gleichermaßen gefährdet ist.
Das Bonner Sparpaket wird nach Auffassung des Landesmieterbundes im übrigen gleichermaßen Auswirkungen für die schleswig-holsteinische Mieterschaft haben. So ist die seit langem überfällige Erhöhung des Wohngeldes (seit 1990 unverändert) erneut verschoben worden und trägt sich der Bund mit der Absicht, das sogenannte pauschalierte Wohngeld in Gänze zu streichen. Im Ergebnis liefe dies auf eine Verlagerung in die Sozialhilfe hinaus, die von den Kommunen zu tragen ist. Soweit diese ihre Sozialhilfeetats nicht erhöhen wollen, wird zusätzlicher Druck auf die Mieterhaushalte entstehen und ist ein noch schärferer Wettbewerb im einfachen Marktsegment zu erwarten.
Da die Einwohnerzahl von Schleswig-Holstein im übrigen nach wie vor steigt und auch aus diesem Grunde zusätzlicher Wohnraum benötigt wird, steht zu erwarten, daß die derzeitigen Entspannungstendenzen in absehbarer Zeit abreißen und wieder in einen „Vermietermarkt“ mit drastisch steigenden Mieten einmünden, wenn nicht die vorgenannten Entwicklungen insgesamt gestoppt werden können.
Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel