Aus Fehlern lernen: Neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft für Kiel
Kiel, den 16.10.2018
Aus Fehlern lernen:
Neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft für Kiel
20 Jahre ist es her, dass die Landeshauptstadt ihre kommunale Wohnungsbaugesellschaft gegen den Protest des Kieler Mietervereins verkauft hat. „Wir verkaufen nur an einen seriösen Investor“ tönte der damalige Oberbürgermeister Norbert Gansel. Mieter müssten sich keine Sorgen machen. Das Ergebnis: Nach mehrfachen Weiterverkäufen gehören die rund 12.000 KWG-Wohnungen heute dem Finanzinvestor Vonovia. Der Kieler Mieterverein registriert jede Menge Ärger von Vonovia-Mietern um Mieterhöhungen, Betriebskostenabrechnungen, Modernisierungen …
Der Kieler Wohnungsmarkt ist völlig aus dem Ruder gelaufen, da ein Wohnungsneubau praktisch kaum stattfand. Der jüngste Mietspiegel zeigt einen Anstieg des Mietniveaus um 12,4 %. Es ist absehbar, dass die Mieten weiter kräftig steigen werden. Mit wenigstens vier Jahren Verspätung hat die Landeshauptstadt jetzt beschlossen, eine neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft zu gründen.
Das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der Sozialverband Deutschland und der DMB Kieler Mieterverein möchten sichergestellt sehen, dass eine neue Wohnungsbaugesellschaft für Kiel ihren Zweck zuverlässig und langfristig erfüllen kann. Sie haben deshalb – abgeleitet aus den Fehlern der Vergangenheit – konkrete Forderungen an die Errichtung, Ausstattung, Zielsetzung und Führung dieser Gesellschaft:
Das Unternehmen sollte als GmbH in alleiniger Trägerschaft der Landeshauptstadt Kiel errichtet werden. Schon vor 20 Jahren gab es Streit über die Gewinnabführung der damaligen KWG. Sie musste hohe Beträge an die Landeshauptstadt abführen, die bei Neubau und Instandhaltung fehlten und natürlich auch zum Mietenanstieg beitrugen. Die Forderung des Verbändebündnisses lautet daher: Das neu zu gründende Unternehmen muss dauerhaft von der Pflicht, Gewinne abzuführen freigestellt werden und soll seine Gewinne reinvestieren und zur Stabilisierung des Mietenniveaus verwenden. Die von dem Unternehmen angebotenen Wohnungen sollen in der Miethöhe deutlich unterhalb der Mietspiegelwerte vergleichbarer Wohnungen rangieren.
In vielen Kommunen ist es üblich, die Führung kommunaler Gesellschaften mit altgedienten Kommunalpolitikern zu besetzen. In Kiel war das nicht anders. Das Verbändebündnis spricht sich deshalb dafür aus, eine unabhängige, sozial orientierte Fachkraft an die Spitze des neu zu gründenden Unternehmens zu stellen, um Wechselwirkungen zwischen Politik und Unternehmensführung zu vermindern. Auch bestehe die Gefahr, dass ein Quereinsteiger das Unternehmen an den Grundsätzen wohnungswirtschaftlicher Interessenverbände ausrichtet.
In Frage käme beispielsweise der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen, der früher einmal vorrangig die gemeinnützige Wohnungswirtschaft unter seinem Dach versammelt hat. Heute vertritt dieser außerordentlich mächtige wohnungswirtschaftliche Verband eine bunte Mischung aus ehemals gemeinnützigen Unternehmen, Genossenschaften und Finanzinvestoren. Vonovia ist zwar nicht unmittelbar Mitglied im VNW, sondern gehört zu einem anderen Regionalverband. Alle zusammen sind aber im GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen organisiert und es versteht sich von selbst, dass Gewinnmaximierung und die Schaffung investorenfreundlicher Rahmenbedingungen zu den großen Zielen dieser Verbände gehören.
Besonders unangenehm: Die wohnungswirtschaftlichen Verbände besetzen ihre Spitzenpositionen gerne mit hochrangigen Politikern. Der Chef des Bundesverbandes GdW zum Beispiel war Senator der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg, der Chef des VNW war Innenminister in Schleswig-Holstein und ist von seinem Amt zurückgetreten, um den Chefposten anzutreten. Seilschaften wie diese nutzen ihre alten Verbindungen, um Wohnungspolitik im Sinne ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Deswegen fordert das Verbändebündnis auch, dass das neu zu gründende Unternehmen keine Mitgliedschaft in den wohnungswirtschaftlichen Interessenverbänden erwerben darf.
Um einen spürbaren Einfluss auf den Kieler Wohnungsmarkt ausüben zu können muss eine neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft einen Anteil von wenigstens 10 % des Wohnungsbestandes vorweisen können. Es ist klar, dass eine Gesellschaft dieser Größenordnung nicht aus dem Boden gestampft werden kann. 13.000 Wohnungen sollten allerdings eine Zielvorgabe sein. Auf dem langen Weg dahin sollte das Unternehmen mit tatkräftiger Unterstützung der Stadt Mietwohnungen neu bauen, Bestände aufkaufen, gepachtete Bestände bewirtschaften.
Deswegen fordert das Verbändebündnis die Landeshauptstadt auf, kommunale Liegenschaften, die für den Mietwohnungsbau geeignet sind, vorläufig nicht zu veräußern und sie nach der Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft zu vernünftigen Konditionen an das Unternehmen abzugeben. Ziel muss es sein, dass die neue Wohnungsbaugesellschaft einen Anteil von wenigstens 60 % öffentlich geförderter Wohnungen dauerhaft in ihrem Bestand haben wird. Gerade im Neubau böte eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft die Möglichkeit, der fortschreitenden sozialen Entmischung in Kiel entgegenzuwirken, indem geförderter Wohnungsbau auch in Stadtteilen verwirklicht werden kann, in denen freie Wohnungsunternehmen nur hochpreisige Wohnungen errichten würden.
Auch bei heruntergekommenen Wohnungsbeständen – sogenannten Schrottimmobilien – könnte ein kommunales Wohnungsunternehmen eine behutsame Instandsetzung vornehmen und so den betroffenen Mietern und dem Quartier von Nutzen sein.
Ein kommunales Wohnungsunternehmen wird durch die steigende Zahl von Obdachlosen auch kleine Wohnungen für Betroffene vorhalten müssen, die in Gemeinschaftsunterkünften mit Mehrbettzimmern überfordert sind und wegen der häufigen psychischen und gesundheitlichen Probleme nicht die notwendige Basis für einen Neubeginn finden.
Auf Bundesebene wird darüber nachgedacht, eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einzuführen. Deswegen sollte bereits in der Gründungsphase einer neuen kommunalen Wohnungsbaugesellschaft sichergestellt werden, dass das Unternehmen den Anforderungen einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit genügen wird.
Das Verbändebündnis spricht sich dafür aus, das neu zu gründende Wohnungsunternehmen mit einem Mieterbeirat auszustatten, der Mitbestimmungsrechte in den Bereichen Miethöhe, Betriebskosten und Modernisierung haben soll. Ihm sollen umfassende Auskunftsansprüche zugebilligt werden. Der Kieler Mieterverein soll berechtigt sein, an den Sitzungen des Beirates mit beratender Stimme teilzunehmen.
Natürlich sind Neugründung und Aufbau einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft ein kostspieliges Unterfangen. Das Verbändebündnis weist aber darauf hin, dass die Stadt auch selber das Opfer des rasanten Mietenanstiegs geworden ist. So sind die jährlichen Kosten der Unterkunft für Transferleistungsbezieher von 78,5 Millionen € im Jahre 2013 auf 89,8 Millionen € im Jahre 2017 gestiegen. Tendenz: weiterhin steigend. Ursache für diesen steilen Anstieg ist unter anderem die Tatsache, dass die Mieten des preiswerten Marktsegments besonders stark gestiegen sind. Genau deswegen ist es wichtig, dass die neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft sich auf dieses Marktsegment konzentriert. In dem Maße, wie das neue Unternehmen einen dämpfenden Einfluss auf das Mietengefüge gewinnt, wird auch der Sozialhaushalt der Landeshauptstadt Kiel entlastet werden.
Die wohnungspolitische Maxime der Landeshauptstadt sollte sich langfristig am „Wiener Modell“ ausrichten. Die österreichische Hauptstadt besitzt mit 220.000 Wohnungen rund ein Viertel des Wiener Wohnungsbestandes. Sie hat dem Privatisierungsdruck stets widerstanden. Dadurch ist sie in der Lage einen spürbaren Einfluss auf den Wiener Wohnungsmarkt auszuüben mit der Folge, dass das Mietgefüge in Wien weit unterhalb der Mieten in anderen europäischen Metropolen angesiedelt ist.
Mit Immobilien wird viel Geld verdient. Langfristig werden sich Gründung und Aufbau einer neuen kommunalen Wohnungsbaugesellschaft für die Landeshauptstadt rechnen und zwar auch dann, wenn sie nicht auf die extremen Gewinnmargen setzt, wie sie renditegetriebene Finanzinvestoren als selbstverständlich ansehen.
V.i.S.d.P. Heidrun Clausen, Mieterbund Kiel