90 Jahre Mieterbund Schleswig-Holstein

Kiel, den 18.03.2010

90 Jahre Mieterbund Schleswig-Holstein

Im Rahmen des am 20. März in Schleswig stattfindenden Verbandstages begeht der Deutsche Mieterbund Landesverband Schleswig-Holstein sein 90-jähriges Gründungsjubiläum. Genau am 16. Mai 1920 wurde der Verband in Kiel gegründet. Es waren Vertreter der Mietervereine aus der damals noch preußischen Provinz Schleswig-Holstein und dem benachbarten Hamburg, die den „Verband norddeutscher Mietervereine“ gründeten.

Zu ihrem Gründungsvorsitzenden wählten Sie den Kieler Stadtverordneten und Gründer des Kieler Mietervereins Gustav Mallwitz (1879 – 1923).

In der Rückschau zieht der Verband deutliche Parallelen zwischen der Aufgabenstellung des Gründungsjahres und der Gegenwart. Natürlich ist die Wohnungsversorgung des Jahres 2010 ungleich besser als vor 90 Jahren. Und auch der Mieterschutz heutzutage übertrifft den Schutz vor reiner Willkür, auf den er im Gründungsjahr beschränkt war, um Klassen. Dennoch trat der Verband damals wie heute gegen Mietvertragsformulare an, die die Vermieterseite einseitig und unausgewogen begünstigt haben – dies war vorher schon einer der Auslöser für die Gründung örtlicher Mietervereine. So war auch die Gründung des Verbandes eine Reaktion auf die Aktivitäten geradezu übermächtiger Haus- und Grundeigentümervereine, die schon 1879 einen Zentralverband gegründet hatten.

Gründungszeit

In der Gründungszeit mussten sich Verband und Vereine mit einer schier unvorstellbaren Wohnungsnot infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Industrialisierung auseinandersetzen. Lebten in Kiel beispielsweise 1875 lediglich 32.246 Menschen, so schnellte deren Zahl bis 1890 bereits auf 69.172 hoch und lag sie 1902 bereits bei 132.000. Weil die Wohnungsversorgung nicht mithalten konnte, waren die Wohnungsbedingungen einfach nur katastrophal.

Erste Erfolge erzielte die gestärkte Organisation mit dem Reichsmietengesetz von 1922, das unter anderem die Einführung von Mietervertretungen in jedem Hause vorschrieb. Es folgte das Mieterschutzgesetz, das erstmals – zeitlich befristet – das Kündigungsrecht der Vermieterseite einschränkte.

Mängel des Mietobjektes haben Verband und Vereine seit ihrer Gründung beschäftigt. Undichte Fenster, durchregnende Dächer, mangelhafte Beheizbarkeit, vielfältige Probleme mit Sanitäranlagen und vieles andere mehr waren und sind damals wie heute Thema in der Rechtsberatung der dem Verband heute angehörenden 9 Mietervereine mit 25 Beratungsstellen in Schleswig-Holstein. Damals wie heute war auch die steigende Wohnkostenbelastung ein Schwerpunkt in der Rechtsberatung. In der Gründungszeit waren es steigende Bruttomieten, heute sind es neben den steigenden Nettomieten die ausufernden Betriebskosten, die den Haushalten zu schaffen machen.

Während des Nationalsozialismus pochte die Organisation zunächst auf ihre parteipolitische Neutralität, ließ sich am Ende aber ebenfalls vereinnahmen. 1941 wurde das Erscheinen der „Norddeutschen Mieterzeitung“ eingestellt, 1944 wurden Mietervereine und Verbände verboten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Erst 1949 wurde der Verband wieder aktiv und kritisierte die damals diskutierten Lockerungen der Wohnraumbewirtschaftung, die vor dem Hintergrund der kriegsbedingten Wohnungsnot Mieter wieder in die Defensive brachten. Zwar wurde mit dem Inkrafttreten des „Ersten Wohnungsbaugesetzes“ am 27.4.1950 der Wiederaufbau in Schwung gebracht, aber eine schnelle Verbesserung der Wohnungsnot brachte das Gesetz nicht. Im Gegenteil: Mietpreisbegrenzende Vorschriften wurden zügig aufgehoben, was zur Folge hatte, dass sich bis 1955 zahlreiche Mietervereine neu gründeten, so in Reinfeld, Ratzeburg, Schwarzenbek, Bargteheide, Bad Segeberg, Eutin, Glückstadt, Husum, Leck, Elmshorn und Pinneberg.

1956 wurde das „Zweite Wohnungsbaugesetz“ verabschiedet mit dem Einstieg in eine verstärkte Eigenheimförderung. Einem Bericht der „Mieterzeitung“ zufolge fehlten damals in Schleswig-Holstein noch geschätzte 250.000 Wohnungen. Einen neuen Schub erfuhr die Mieterbewegung mit dem Inkrafttreten des nach dem damaligen Bauministers Paul Lücke benannten „Lücke-Plans“ am 01.07.1960. Danach sollten die Altbaumieten in den „weißen Kreisen“ (Wohnungsdefizit weniger als 3 Prozent) freigegeben und der Mieterschutz nur noch über eine „Sozialklausel“ abgesichert werden. In Schleswig-Holstein waren damals noch ca. 33.000 Ostvertriebene notdürftig in Baracken untergebracht. Der Gesetzgeber ruderte zurück und erließ eine Reihe mieterschützender Vorschriften, die letztendlich in das Kündigungsschutzgesetz von 1975 einmündeten, das relative Ruhe brachte.

Mieterbund Schleswig-Holstein

Im Jahre 1972 benannte sich der Verband um und beschränkte seine Aktivität auf Schleswig-Holstein, da sich zwischenzeitlich in den Nachbarländern eigene Verbände gegründet hatten. Seinen heutigen Namen gab er sich am 25.02.1978.

In der Folgezeit verschoben sich die Probleme von der reinen Mangellage für alle, hin zu Versorgungsengpässen für einkommensschwache Haushalte. Streitigkeiten um Betriebskosten rückten immer mehr in den Vordergrund und führten 1969 zur Gründung des Mietervereins Norderstedt, der wenig später dem Verband beitrat.

Nach einer Zeit relativer Ruhe erlebten Mietervereine und Landesverband nach der Wiedervereinigung in den neunziger Jahren erneut eine stürmische Nachfrage verbunden mit starkem Mitgliederwachstum. Dem Verband gehörten mehr als 50.000 Mieterhaushalte in Schleswig-Holstein an, die erneut mit Wohnraummangel und explodierenden Mieten zu kämpfen hatten. Zeitgleich engagierte sich der Verband mit dem Aufbau einer funktionierenden Mieterorganisation in Mecklenburg-Vorpommern und gründete dort viele Mietervereine und den ersten Landesverband.

Mit zunehmender Entspannung auf den Wohnungsmärkten war auch die starke Inanspruchnahme der Organisation leicht rückläufig. Infolge des Ausverkaufs der großen Wohnungsbaugesellschaften an Finanzinvestoren wendete sich das Blatt erneut. Heute kämpfen Vereine und Verband gegen explodierende Heiz- und Betriebskosten, sträfliche Vernachlässigung der Bausubstanz und gegen ungezügelte Renditeorientierung gewandelter Wohnungsunternehmen. Diese Auseinandersetzung und die aktuelle Diskussion um Mietrechtsreformen lassen die Mitgliederzahlen in Vereinen und Verband wieder steigen. Und auch die verfrühte Freigabe preisgebundener Wohnungen verbunden mit einem schnellen Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes sind plötzlich wieder ein Thema. Mit dem Inkrafttreten des SHWoFG fördert das Land die Wohnungswirtschaft und nicht die Mieter. So sollen Modernisierungsanreize geschaffen werden, die letztendlich auch die Mieten wieder hochschnellen lassen, was aber von den ersparten Energiekosten nicht annähernd kompensiert wird.

Im Rahmen des Verbandstages am 20. März in Schleswig werden sich die Mietervereine zu den kommenden Herausforderungen positionieren.

Verantwortlich: Jochen Kiersch – Kiel

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