Mietenbericht der Bertelsmann Stiftung – Umfangreicher Forderungskatalog der schleswig-holsteinische

Kiel, den 23.07.2013

Mietenbericht der Bertelsmann Stiftung
Umfangreicher Forderungskatalog der schleswig-holsteinischen Mietervereine

Der am 22.07.2013 vorgelegte Bericht der Bertelsmann Stiftung belegt nach Auffassung der schleswig-holsteinischen Mietervereine nachdrücklich, dass die Warnungen der Mieterorganisation vor untragbaren Mietbelastungen durchweg begründet waren. Derartige Entwicklungen hatten die Mietervereine schon prophezeit, als die Politik sich anschickte, Wohnungsbestände der öffentlichen Hand an ausschließlich renditeorientierte Finanzinvestoren zu verkaufen. Schlimmstes Beispiel in Schleswig-Holstein: Die von dem damaligen Oberbürgermeister Norbert Gansel an einen Finanzinvestor verkaufte, ehemals kommunale Kieler Wohnungsbaugesellschaft mit ursprünglich rund 11.000 Wohnungen. Das Unternehmen hat einen Teil des Wohnungsbestandes weiterveräußert, unter anderem an den Finanzinvestor AVEGE, der die 600 von ihm erworbenen Wohnungen buchstäblich ausgelutscht hat und jetzt insolvent ist. Die Leidtragenden sind die Mieter, die in schlechten Wohnungen mit hohen Mieten sitzen. Ein Teil des Wohnungsbestandes steht leer.

Das Land Schleswig-Holstein hat keineswegs mehr Weitsicht walten lassen. Unter Finanzminister Stegner ist die ehemalige LEG Schleswig-Holstein mit rund 21.000 Wohnungen auf dem Umweg über die Landesbank scheibchenweise privatisiert worden, bis sie schlussendlich bei dem Reifenhersteller Pirelli gelandet ist, der sie in Prelios umbenannt hat. Der Bestand der Kieler Werkswohnungen GmbH mit rund 10.000 Wohnungen – ehemals zu HDW gehörig – ist auf verschiedene Investoren aufgeteilt worden. Und schließlich war da noch die BIG-Aktiengesellschaft mit einem Wohnungsbestand von rund 10.000 Wohnungen in ganz Schleswig-Holstein (ehemals eine Genossenschaft), die in einer Nacht- und Nebelaktion an die Deutsche Annington verkauft worden ist.

Alle Finanzinvestoren eint ausnahmslos das Prinzip, dass sie zwar schnell mit Mieterhöhungen zur Hand sind, die Instandhaltung und Modernisierung aber vernachlässigen zum Nachteil der Mieter, der Kommunen, der Quartiere und der Umwelt.

Auch die Warnungen der Mieterorganisation vor dem im Jahre 2009 verabschiedeten schleswig-holsteinischen Wohnraumförderungsgesetz (SHWoFG) blieben ungehört. Auf Initiative der vormaligen Landesregierung – vertreten durch das Innenministerium – hat der vormalige Landtag dem Drängen der Wohnungswirtschaft nachgegeben und Preis- und Belegungsbindungen des schleswig-holsteinischen Sozialwohnungsbestandes radikal bei 35 Jahren Laufzeit gekappt. Damit wurden bislang Tausende öffentlich geförderter Wohnungen in den „freien Wohnungsmarkt“ entlassen. Der größte Aderlass steht jedoch noch bevor: Im Jahre 2014 werden noch einmal rund 15.000 öffentlich geförderte Wohnungen landesweit ihre Preis- und Belegungsbindungen verlieren, so dass der Bestand von ursprünglich mehr als 220.000 öffentlich geförderter Wohnungen auf eine Restgröße von unter 50.000 zusammenschmilzt mit weiterhin abnehmender Tendenz. Derweil verlangt sogar die Wohnungswirtschaft wieder eine Verlängerung von Preis- und Belegungsbindungen, sowie eine stärkere Förderung von Sozialwohnungen – zuletzt am Verbandstag des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen am 19.06.2013 in Kiel. Diejenigen Politiker, die heute nach mehr preiswertem Wohnraum rufen, hätten gut daran getan, dem Wohnungsmarkt in den vergangenen zehn Jahren mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Der Verweis auf die schweren Fehler der Vergangenheit dient hier nur dem Zweck, möglichst zu verhindern, dass derartige Fehler sich wiederholen. Der Deutsche Mieterbund Landesverband Schleswig-Holstein und die ihm angeschlossenen Mietervereine sind zukunftsorientiert. Sie haben klare Forderungen dazu, was schon seit langem geschehen muss:

  1. Landesweit müssen auf absehbare Zeit jährlich mindestens 15.000 Mietwohnungen neu erstellt werden.
  2. Wenigstens ein Drittel des Mietwohnungsneubaus muss öffentlich gefördert sein mit sozialverträglichen Miethöhen.
  3. Die Eigenheimförderung ist so lange auszusetzen, bis der Mietwohnungsmarkt wieder im Lot ist. Die frei werdenden Mittel sind in die Mietwohnungsbauförderung umzuschichten.
  4. Die Kommunen müssen Bauland in zentraler Lage möglichst an unterschiedlichen Standorten zu bevorzugten Konditionen für den sozialen Wohnungsbau und für Wohnungsbaugenossenschaften bereitstellen.
  5. Baulandflächen dürfen nur dann vergeben werden, wenn wenigstens ein Anteil von 30 % für öffentlich geförderten Wohnraum bereitgestellt wird.
  6. Kommunen müssen sich mit eigenen Mitteln am sozialen Wohnungsbau beteiligen. Sie müssen eigene Instrumente entwickeln, um die Wohnkostenbelastung zu senken. Dazu gehört die Aufstellung von Miet- und Betriebskostenspiegeln. Dies müssen sie in ihrem eigenen Interesse tun, da sie ohnehin schon unter der Wohnkostenbelastung für Transferleistungsbezieher ächzen. Entlastung können sie nur dann erwarten, wenn sie selber dazu beitragen, dass Mieten bezahlbar bleiben.
  7. Kommunen müssen sich auf ihre Daseinsvorsorge besinnen und wieder kommunale Wohnungsbaugesellschaften gründen. Mit diesen Instrumenten können sie den Mietwohnungsmarkt beeinflussen, Quartiersentwicklung betreiben und Wohnungsnotfälle versorgen.
  8. Der Sozialwohnungsbestand des Landes ist sukzessive wieder auf 120.000 Wohnungen aufzustocken.
  9. Wenn öffentliche Förderung wegen der extrem niedrigen Kapitalmarktzinsen nicht konkurrenzfähig ist und Wohnungsbaugesellschaften deswegen keine Sozialwohnungen bauen wollen, ist die öffentliche Förderung gegebenenfalls durch Zuschüsse aus Landesmitteln zu ergänzen. Der schwere Aderlass beim Zweckvermögen Wohnungsbau zu Gunsten der Krankenhaussanierung ist rückgängig zu machen.
  10. Baudarlehen und Zuschüsse für öffentlich geförderte Wohnungen sind an die Bedingung zu knüpfen, dass Bruttomieten vereinbart werden, neben denen nur noch verbrauchsabhängige Kosten wie Wasserverbrauch und Heizung umlagefähig sind, damit die öffentliche Förderung nicht durch überhöhte Betriebskosten unterlaufen wird.
  11. Finanzinvestoren sind sehr viel schärfer zu besteuern. Sie müssen in Zukunft der Grunderwerbssteuer unterworfen werden. Steuererleichterungen dürfen Ihnen nur für Investitionen in ihre Wohnungsbestände gewährt werden.
  12. Der Bund muss die Kompensationsmittel für die Wohnraumförderung in den Ländern (zweckgebundenen) auch in Zukunft dauerhaft bereitstellen und soweit aufstocken, dass die erforderliche Anzahl von öffentlich geförderten Wohnungen in den Bundesländern finanziert werden kann.
  13. Mieten und Mieterhöhungsmöglichkeiten öffentlich geförderter Wohnungen müssen so angepasst werden, dass sie zuverlässig 20 % preiswerter sind als der örtliche Mietwohnungsmarkt. Die Förderung ist so auszugestalten, dass die Differenz zum freifinanzierten Wohnungsbau zu Gunsten der Wohnungswirtschaft überbrückt wird.
  14. Der sich beschleunigende Mietenanstieg im Bestand ist bis auf weiteres durch eine Kappungsgrenze von 15 % in vier Jahren abzubremsen.
  15. Der sich beschleunigende Mietenanstieg bei Neuvermietung ist bis auf weiteres durch eine Kappungsgrenze von 10 % über der ortsüblichen Vergleichsmiete abzubremsen.
  16. Um den Mietwohnungsneubau trotzdem anzukurbeln können Neubauten zu Marktpreisen angeboten werden.
  17. Das Recht auf eine angemessene Wohnung ist in der Landesverfassung zu verankern.

Die schleswig-holsteinischen Mietervereine sind sich dessen bewusst, dass ihre Forderungen von der Wohnungswirtschaft durchweg als „Teufelszeug“ angesehen werden. Dennoch hat die Politik nach Auffassung der Mieterorganisation kaum eine andere Wahl, um die aktuelle Mangelsituation zu überwinden. Für die nächsten 4 – 5 Jahre ist nach der festen Überzeugung der Mietervereine in den Ballungsräumen eine weitere Verschärfung der Situation am Wohnungsmarkt abzusehen. Mieten, Heiz- und Betriebskosten werden weiter steigen – die zu erwartenden Kosten für energetische Modernisierungen kommen obendrauf. Haushalte, die ihre Wohnkastenbelastung schon jetzt nicht schultern können, werden massenhaft in schwere Bedrängnis geraten. Entspannung ist erst zu erwarten, wenn der Neubau tatsächlich in Schwung gekommen ist und Land und Kommunen ihre Hausaufgaben gemacht haben. Bei alledem ist die nächste Anspannung des Marktsegments für einkommensschwache Haushalte bereits absehbar: Geringverdiener von heute sind Rentner mit Minirenten von morgen. Ihre Zahl wird dramatisch zunehmen. Die Mietwohnungen, die für diese Haushalte benötigt werden, müssen jetzt gebaut, gefördert und rechtlich so abgesichert werden, dass sie dauerhaft bezahlbar bleiben.

Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel

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