„Ersatzneubau“ auf dem Vormarsch

Kiel, den  31.03.2011

„Ersatzneubau“ auf dem Vormarsch

Sehr viel häufiger werden sich Mieterhaushalte zukünftig darauf einstellen müssen, dass sanierungsbedürftige Häuser aus den fünfziger und sechziger Jahren nicht mehr instandgesetzt und modernisiert, sondern abgerissen werden und einem Neubau weichen müssen. Diese Form des „Ersatzneubaus“ ist schon an mehreren Standorten in Schleswig-Holstein praktiziert worden, unter anderem auch in Lübeck. Nach Feststellungen der Investitionsbank Schleswig-Holstein, die die Fördermittel für den sozialen Wohnungsbau verwaltet, sind im Förderzeitraum 2009/2010 von 4.858 geförderten Wohnungen immerhin 1.239, entsprechend gut 25 %, als Neubauten nach Abriss gefördert worden.

Aktuell laufen derartige Konzepte in Westerland und in Flensburg. In Kiel ist Ersatzneubau in der Moltkestraße und in der Gerhardstraße vorgesehen. Einer Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen zufolge ist bundesweit mit einem Bestand von 1,75 Millionen Wohnungen zu rechnen, bei denen Abriss und Neubau wirtschaftlich die vernünftigere Alternative ist. Hierauf fußend plant offenbar auch das Innenministerium im Rahmen der Wohnungsbauförderung zukünftig verstärkt auf den Ersatzneubau zu setzen, so jedenfalls der Innenminister unlängst in einem wohnungspolitischen Fachgespräch.

Abriss und Neubau sind scharfe Eingriffe in bestehende Mietverträge und für betroffene Mieterhaushalte außerordentlich belastend. Sie müssen sich eine neue Wohnung suchen, die in der Regel sehr viel teurer ist als die alte. Sie müssen einen Umzug bewerkstelligen, bei dem sie oft auch ihr soziales Umfeld verlieren und der fast immer mit hohen Kosten verbunden ist. Wenn es schlecht läuft müssen Sie eine Maklercourtage zahlen, eine neue Kaution aufbringen, weil sie die alte noch nicht zurück haben. Sie müssen die neue Wohnung herrichten und zum Teil auch neue Möbel anschaffen, von den Kosten des Umzuges selber ganz abgesehen. Familien mit Kindern haben das zusätzliche Problem, dass sie sich neue Kindergartenplätze suchen oder Schulwechsel organisieren müssen – ungünstigstenfalls beides. Seniorinnen und Senioren, die 50 Jahre und mehr in alten Häusern gewohnt haben, können sich nur ganz schwer damit abfinden, dass sie ihre vertraute Umgebung aufgeben müssen. Aus diesen und anderen Gründen ist der Ersatzneubau hoch konfliktträchtig. Es macht die Sache nicht einfacher, dass sich zunehmend auch Spekulanten auf diesem Feld tummeln, die gar nicht daran interessiert sind, ihren Wohnungsbestand zu pflegen, sondern ältere Bausubstanz nur zum Zwecke des Abrisses aufkaufen, weil sie an Grundstücken interessiert sind, die zentral oder in bevorzugten Wohngegenden gelegen sind.

Die schleswig-holsteinischen Mietervereine verkennen nicht, dass Ersatzneubau nicht selten die vernünftigere Alternative gegenüber einer Modernisierung sein wird. Sie sind prinzipiell bereit, an einvernehmlichen Lösungen, mit denen die unterschiedlichen Interessen zwischen Mietern und Vermietern ausgeglichen werden können, mitzuwirken. Sehr erfolgreich wurde dies beispielsweise in der Stadt Westerland praktiziert, wo 160 Wohnungen aus den sechziger Jahren sukzessive abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Die Einigungsgespräche waren für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Am Ende sind aber faire Lösungen dabei herausgekommen, mit denen sowohl die meisten Mieter, wie auch die Vermieterseite zufrieden war, obwohl beide Seiten Zugeständnisse machen mussten. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Klimaschutzes war dabei sowohl von Mieter-, wie auch von Vermieterseite sehr hilfreich. Auseinandersetzungen um Ersatzneubau können aber auch eine ganz andere Richtung nehmen. Vermieter, die „mit der Brechstange“ versuchen, ihre Mieter schnellstmöglich hinaus zu ekeln, können den Widerstand ganzer Bewohnerschaften nachdrücklich anheizen und schier endlose, gerichtlich ausgetragene Streitigkeiten durch mehrere Instanzen heraufbeschwören. Am Ende leiden unter derartigen Praktiken alle Beteiligten: Die Mieter sehen sich zahllosen Schikanen ausgesetzt, in dem Fenster vernagelt, Bauzäune aufgestellt, Bäume abgehackt werden – Aktivitäten, denen man die Gemeinheit schon anhand der zeitlichen Abläufe ansieht. Aber auch für die Vermieterseite kann eine derartige Vorgehensweise erhebliche Nachteile mit sich bringen. Landen derartige Streitigkeiten erst vor Gericht, dann ist mit mehrjährigem Stillstand in allen Planungen zu rechnen und steigen die Kosten für die Gesamtmaßnahme rapide an – von den Prozesskosten ganz zu schweigen. Wer nicht aufpasst, kann sich dabei an den Rand des Abgrunds manövrieren. Aber auch für die Kommunen ist eine unsensible Herangehensweise an die schwierige Materie von Nachteil; auch dort stehen häufig alle weiteren Planungen still. Und wenn Spekulanten am Werk sind besteht zusätzlich die Gefahr, dass die soziale Durchmischung in der Kommune leidet, weil die durch den Abriss Vertriebenen häufig einkommensschwache Haushalte sind, die natürlich nach vergleichbar preiswertem Wohnraum suchen und dadurch auf ohnehin benachteiligte Stadtteile abgedrängt werden.

Aus diesem Grunde fordert die Mieterorganisation Vermieter und Darlehensgeber auf, bei Planungen in Richtung Ersatzneubau sehr frühzeitig auf die betroffenen Mieter zuzugehen und – unter Einbindung der Mieterorganisation – im Dialog auf eine Lösung hinzuarbeiten. Förderbestimmungen des Innenministeriums beispielsweise müssen die Verpflichtung zur derartigen Konsensgesprächen in den Darlehensvertrag aufnehmen. Mieterhaushalten, denen der Abriss ihrer Wohnungen angekündigt wird, empfiehlt die Mieterorganisation dringend, sich frühzeitig zusammenzuschließen und im engen Schulterschluss mit der Mieterorganisation auf eine faire Lösung mit ihrem Vermieter hinzuarbeiten. Nur so können sie sicher sein, dass ihre Interessen genauso berücksichtigt werden, wie die der Vermieterseite. Dabei dürfen Mieter nicht vergessen, dass ihnen in der Regel ein professionelles Unternehmen gegenübersteht, das häufig schon über Erfahrungen mit derartigen Aktivitäten verfügt. Mieterhaushalte, die jeder für sich Einzelinteressen in die Waagschale werfen, kommen dabei leicht unter die Räder. Der Vermieterseite bieten die Mietervereine faire Verhandlungen an, weil auch auf Mieterseite durchaus die Erkenntnis vorherrscht, dass Neubauten gegenüber solchen aus den fünfziger und sechziger Jahren viele außerordentliche Vorzüge haben, nicht nur was den Wärme- und Schallschutz anbelangt, sondern auch im Hinblick auf altersgerechte Nutzungsmöglichkeiten. Die Modernisierung des Wohnungsbestandes ist eine Gemeinschaftsaufgabe, der sich auch Mieterhaushalte nicht verschließen. Die Bewältigung dieser Aufgaben setzt aber voraus, dass die Parteien kommunizieren, kooperieren und aufeinander zugehen.

Nähere Auskünfte zu diesem Thema erteilen alle schleswig-holsteinischen Mietervereine. Deren Anschriften und Beratungszeiten können zentral über die Landesgeschäftsstelle des Mieterbundes in Kiel, Eggerstedtstraße 1, 24103 Kiel oder über das Internet unter www.mieterbund-schleswig-holstein.de abgefragt werden.

 

Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel

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