Schleswig-Holstein will Zugang zu den Amtsgerichten erschweren
Kiel, den 14.09.1999
Schleswig-Holstein will Zugang zu den Amtsgerichten erschweren
Auf Bundesebene laufen zur Zeit Bestrebungen das „Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitschlichtung“ zu verabschieden. Damit wird den Ländern die Möglichkeit gegeben zwingend vorzuschreiben, daß vor Klageerhebung beim Amtsgericht ein Schlichtungsverfahren durchlaufen wird.
Dies soll für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis 1.500,00 DM, Nachbarstreitigkeiten, solche wegen Verletzung der persönlichen Ehre und ähnliche gelten. Landesjustizminister Walter hat sich bereits mehrfach öffentlich für dieses Verfahren stark gemacht und durchblicken lassen, daß ein entsprechendes schleswig-holsteinisches Gesetz schon Anfang nächsten Jahres in Kraft treten könnte.
Der Landesmieterbund steht dem Verfahren aus verschiedenen Gründen sehr skeptisch gegenüber. Im einzelnen: Die schleswig-holsteinischen Mietervereine verstehen sich im besten Sinne des Wortes als streitschlichtende Organisation. Die gut 50 Tausend durch sie vertretenen Haushalte nehmen landesweit jährlich rund 35 Tausend Beratungstermine wahr. Dabei werden zwischen 6 und 8 Tausend Streitfälle bearbeitet, von denen zwischen 5 und 6 Hundert letztendlich vor Gericht landen. Und gerade diese Zahl ist wegen der Entspannungstendenzen auf dem Wohnungsmarkt zur Zeit stark rückläufig, was nach Auffassung des Landesmieterbundes belegt, daß hier nicht um des Streites willen die Gerichte bemüht werden, sondern in der Vergangenheit die teilweise schamlose Ausnutzung der Wohnraummangellage Antriebsfeder für die Prozeßtätigkeit war.
Diejenigen Fälle, die jetzt noch vor Gericht landen, sind dann auch häufig Fälle, die Pilotcharakter haben und z.B. bei Miethöhen, Heiz- oder Betriebskostenabrechnungen, etliche Parallelstreitigkeiten gleich mitentscheiden. Von daher sieht die Landesmieterorganisation für den Bereich des Mietrechtes keinen Bedarf an einer institutionalisierten Schlichtung.
Ganz im Gegenteil sieht der Landesmieterbund für die rechtssuchende Bevölkerung erhebliche Risiken. Im Falle einer erfolglosen Schlichtung – z.B. wenn das wirtschaftlich stärkere Wohnungsunternehmen einfach nicht nachgeben will – verzögert sich der Streit bis zu seiner endgültigen Entscheidung um bis zu 3 Monate. Auch die Verfahrenskosten werden sich erhöhen, da die Schlichter sicher nicht um Gotteslohn arbeiten werden.
Mit der Einschaltung eines Schlichters oder einer Schlichtungsstelle müssen sich zusätzliche Sachbearbeiter in eine teilweise höchst komplizierte Materie einarbeiten, von denen keineswegs feststeht, daß sie die für das Schlichtungsverfahren nötigen Kenntnisse mitbringen. Diese werden sie aber brauchen wenn es um Fragen der Miethöhe, von Betriebskosten oder Mängeln geht, die den Löwenanteil der mietrechtlichen Streitigkeiten ausmachen. Im Schlichtungsverfahren findet nämlich keine Beweisaufnahme statt.
Der Landesmieterbund fordert daher:
Für den Bereich des Mietrechtes sollte die Bearbeitung des Streitfalles durch einen DMB-Mieterverein die Freistellung von Güteverfahren bewirken.
Das Verfahren selber darf zu keiner Einschränkung oder Verschlechterung von Mieterrechten führen.
Es muß rechtstaatlichen Ansprüchen genügen.
Qualitätsstandards sind durch juristische und wohnungswirtschaftliche Qualifikationen bei der Besetzung der Gütestellen sicherzustellen.
Die durch das Güteverfahren angestrebte Verfahrenskürzung und -entlastung der Gerichte darf sich nicht dadurch ins Gegenteil verkehren, daß wegen qualitativer Defizite eine nachfolgende gerichtliche Entscheidung gleichwohl zur Regel wird. Es darf auch keine zusätzlichen Prozeßkosten auslösen, wenn die Schlichtung fehlschlägt. Es muß der Prozeßkostenhilfe zugänglich sein.
Ein Güteverfahren, das außerhalb der Mieterorganisation angesiedelt wird, muß eine bundesrechtlich abgesicherte Vertretungsbefugnis für Mietervereinsvertreter ausdrücklich gewährleisten.
Fazit der Mieterorganisation: Mit den Bestrebungen, eine außergerichtliche Streitschlichtung einzuführen, greift der Staat tief in eine Streitkultur ein, die seit über 100 Jahren gewachsen ist und sich bewährt hat. Mietervereine als Selbsthilfeorganisationen im besten Sinne des Wortes laufen Gefahr, durch einen staatlichen Eingriff behindert zu werden. Vor diesem Hintergrund fordert der Landesmieterbund den Gesetzgeber nachdrücklich auf, in diesem Bereich – wenn überhaupt – nur sehr behutsam einzugreifen.
Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel