Mieter tagen in Schleswig 90 Jahre Mieterbund Schleswig-Holstein Viele Probleme gelöst – Neue Probleme im Anmarsch
Kiel, den 20.03.2010
Mieter tagen in Schleswig
90 Jahre Mieterbund Schleswig-Holstein
Viele Probleme gelöst – Neue Probleme im Anmarsch
Heute findet turnusgemäß der Landesverbandstag der schleswig-holsteinischen Mieterorganisation in Schleswig statt. Vor 150 Gästen und Delegierten im öffentlichen Teil – darunter Innenstaatssekretär Volker Dornquast – wird die Mieterorganisation eine Einschätzung zur aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt abgeben, sich für die kommenden Herausforderungen positionieren und ihr 90-jähriges Gründungsjubiläum begehen.
Im internen Teil werden Vertreter der neun schleswig-holsteinischen Mietervereine die wohnungspolitischen Forderungen des Verbandes festlegen und ihre Regularien absolvieren, darunter Vorstandswahlen.
Starke Verluste an preisgebundenen Wohnungen vorprogrammiert
Mit dem Inkrafttreten des schleswig-holsteinischen Wohnraumförderungsgesetzes am 01.07.2009 sind neben den planmäßigen Verlusten am preisgebundenen öffentlich geförderten Wohnungen zusätzliche Verluste auf den Weg gebracht worden, weil diese Wohnungen seitdem bereits nach 35 Jahren Laufzeit ihre Bindungen verlieren und nicht erst nach bis zu 70 Jahren. Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass die Mieten geförderter Wohnungen allein aufgrund dieser Tatsache sehr viel schneller steigen werden als unter dem alten Bindungsrecht. Daran werden auch die bis zum 01.07.2019 eingezogenen Übergangsvorschriften nichts ändern, die selbst in ihrer entschärften Form Mieterhöhungsspielräume bis zu 29 % eröffnen. Kritik der Mieterorganisation: Das SHWoFG fördert die Wohnungswirtschaft und nicht die Mieter.
Schlimmer noch: Um diese Mieterhöhungsspielräume auszuschöpfen müssen die Wohnungen nicht einmal modernisiert werden. Am stärksten wird es die besonders preiswerten Wohnungen im hamburgischen Umland, in Kiel und in Lübeck treffen. Faustformel: Je preiswerter die Miete der ehemals geförderten Wohnung und je höher das ortsübliche Vergleichsmietengefüge, desto kräftiger fällt später auch die Mieterhöhung aus. Wenn dann auch noch Modernisierungsmieterhöhungen aufgesattelt werden – und dies ist das erklärte Ziel des Gesetzes – wird für viele Mieterhaushalte nur noch der Umzug in eine kleinere, billigere und unmodernisierte Wohnung übrig bleiben in der Hoffnung, dass sich das Ganze dort nicht sofort wiederholt. Finanzinvestoren werden sich die Hände reiben.
Energetische Modernisierung treibt Mieten hoch
Prinzipiell wird die dringend notwendige energetische Modernisierung des Wohnungsbestandes auch von der Mieterorganisation unterstützt. Die schleswig-holsteinischen Mietervereine warnen jedoch davor, die preiswerten Wohnungsbestände „wegzumodernisieren“. Das Land hat einen enormen, vor allem aber zunehmenden Bedarf an preiswerten Wohnungen. Hier die Zahlen der Transferleistungsbezieher am 31.12.2008:
Empfängerinnen und Empfänger ausgewählter Sozialleistungen in Schleswig-Holstein Ende 2008:
Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen (SGB XII) | 5.493 |
Regelleistungen nach AsylbLG | 3.712 |
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung außerhalb von Einrichtungen | 21.897 |
Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) | 234.519 |
Hilfe nach dem 5. – 9. Kapitel des SGB XII außerhalb von Einrichtungen | 11.333 |
Wohngeld (Personen) | 56.563 |
Haushalte knapp über Leistungsbezug nicht zu vergessen | ? |
Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein, Statistisches Jahrbuch Schleswig-Holstein 2009 |
Sie alle sind auf preiswerten Wohnraum angewiesen, vor allem auch diejenigen, deren Einkommen knapp über der Grenze für den Transferleistungsbezug liegen. Dabei gilt für alle: Die eingesparten Energiekosten liegen regelmäßig deutlich unterhalb der Mieterhöhung. „Warmmietenneutrale Modernisierung“ ist eine Fata morgana.
Mieterorganisation lehnt Förderung von „Ersatzbau“ strikt ab
In der jüngeren Vergangenheit sahen sich Mieter immer häufiger mit der Forderung konfrontiert, dass sie ihre Wohnung räumen sollten, weil der Vermieter die Absicht hat, die Häuser abzureißen und dafür Neubauten zu errichten. Selten handelte es sich dabei um Bausubstanz, die so marode war, dass eine Instandsetzung nicht mehr vertreten werden konnte. „Ersatzbau“ bedeutet immer auch Mieterverdrängung. Selbst wenn ihnen in den Neubauten Wohnungen angeboten werden, so sind diese in der Regel deutlich teurer als die aufgegebenen Wohnungen und immer sind wenigstens zwei Umzüge nötig, um dieses Ziel zu erreichen. „Ersatzbau“ bedeutet ausnahmslos einen tiefen Einschnitt in die ganz persönlichen Lebensumstände. Insbesondere älteren Mieterhaushalten wird buchstäblich der Boden unter den Füßen weggerissen. Aber auch die Jüngeren trifft es hart: Sie müssen sich ein neues soziales Umfeld suchen, sich um Krippenplätze, Kindergärten und Schulen kümmern, womöglich den Hausarzt wechseln und längere Wege zum Arbeitsplatz in Kauf nehmen. Ganz nebenbei sind Umzüge teuer. Die Mieterorganisation lehnt den „Ersatzbau“ daher ab, wenn nicht in wenigen Ausnahmefällen eine Bausubstanz so marode ist, dass ihre Instandsetzung unvertretbar wird. „Ersatzbau“ erhöht den Wohnungsbestand nicht, sondern nur die Mieten.
Preisgünstigen, geförderten Mietwohnungsbestand auf 120.000 WE ausweiten
Die Mieterorganisation fordert ein Umdenken in der Wohnraumversorgung; während die Landesregierung bislang dem Abschmelzen des geförderten Wohnungsbestandes nur sehr halbherzig entgegengetreten ist, fordert die Mieterorganisation langfristig eine Aufstockung auf wenigstens 100.000 WE. Dies erfordert zwar auch einen erhöhten Mitteleinsatz, entlastet aber zugleich die öffentliche Hand, weil ein größerer preiswerter Bestand die Belastungen durch Wohngeld, Grundsicherung und SGB II (Hartz IV) mindert. Gleichzeitig üben preiswerte geförderte Wohnungen einen Dämpfungseffekt auf die Vergleichsmiete aus.
Schleswig-Holsteinisches Wohnraumförderungsgesetz modernisieren
Mit dem SHWoFG hatte das Land es in der Hand, ein modernes Fördergesetz zu schaffen. Es hätte sich angeboten, höchstzulässige Mieten als sogenannte „Bruttomieten“ auszuweisen, bei denen die Betriebskosten in der Miete enthalten sind mit Ausnahme derjenigen, die verbrauchsabhängig sind. Dies hätte einen starken Anreiz für die Wohnungswirtschaft bedeutet, ihre Betriebskosten möglichst effektiv zu senken, da dies eine höhere Nettorendite garantiert hätte.
Für mehr Wettbewerb hätte auch der Vorschlag der Mieterorganisation gesorgt, den Mieten gebundener Wohnungen einen fest definierten Abstand zur ortsüblichen Vergleichsmiete zu verordnen. Damit könnte in Zukunft vermieden werden, was die Landesregierung selber beklagt hat: Dass nämlich beim Absinken der ortsüblichen Mieten in der Vergangenheit die Sozialwohnungen plötzlich viel zu teuer geworden sind, weil dem Land die Instrumente fehlten, diesen Prozess auf die geförderten Wohnungen zu übertragen. Für bessere Einsichten ist es nie zu spät: Die Mieterorganisation fordert das Land auf, das SHWoFG in diesem Sinne nachzubessern.
Verantwortlich: Jochen Kiersch – Kiel